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§ 21 Platzverweis, Aufenthaltsverbot, Wohnungsverweisung

(1) Die Polizei kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder zur Beseitigung einer Störung eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Dies gilt insbesondere für Personen, die den Einsatz der Feuerwehr oder der Hilfs- und Rettungsdienste behindern.

(2) Die Polizei kann einer Person für höchstens drei Monate den Aufenthalt in einem Gemeindegebiet oder -gebietsteil untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß die Person dort eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird. Das Verbot ist zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken und darf räumlich nicht den Zugang zur Wohnung der betroffenen Person umfassen. Die Vorschriften des Versammlungsrechts sowie die Wahrnehmung berechtigter Interessen durch die betroffene Person bleiben unberührt.

(3) Die Polizei kann eine Person für bis zu 7 Tage aus einer Wohnung und dem unmittelbar angrenzenden Bereich verweisen und ihr die Rückkehr in diesen Bereich untersagen, wenn dies zur Abwehr einer von dieser Person ausgehenden gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit von Bewohnern derselben Wohnung erforderlich ist.

  

1. Allgemein

Mit der Änderung des § 21 SächsPolG[1], mit der der Gesetzgeber der Diskussion die Wohnungsverweisung Rechnung trägt, wird das SächsPolG neben der Frage zur Rechtmäßigkeit von Aufenthaltsverboten[2] um die Frage der Rechtmäßigkeit der Wohnungsverweisung bereichert[3]. Die Standardmaßnahmen Platzverweis, Aufenthaltsverbot und Wohnungsverweisung erfassen Gefahrenlagen, die sich im Wesentlichen nur mit einer zeitlich beschränkten Eingriffsmaßnahme bewältigen lassen[4].

  

2. Platzverweis

a) Der Platzverweis ist die Verweisung von einem Ort und / oder das Verbot, vorübergehend einen Ort zu betreten[5]. Damit handelt es sich um eine Regelung, deren Anwendungsbereich sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht beschränkt ist[6].

b) § 21 Abs. 1 SächsPolG setzt eine Gefahr oder Störung im Sinne von § 3 SächsPolG voraus[7]. Je bedeutender das gefährdete Rechtsgut, desto geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts zu stellen. So kann schon wegen eines Stadionverbots eines auswärtigen Vereins gegen einen Hooligan eine einen Platzverweis begründende Gefahr bestehen.

c) Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist ein Rückgriff auf §§ 4, 5 und 7 SächsPolG nicht geboten[8]. § 21 Abs. 1 SächsPolG enthält einen eigenen Störerbegriff, der sich aus dem Begriff der „Person“ ergibt. Darin sind die Adressaten der Maßnahme nach § 4 SächsPolG und § 7 SächsPolG zusammengefaßt. Denn einerseits kann die Gefahr von der Person ausgehen, die weggewiesen werden soll. Andererseits kann die Störereigenschaft auch dadurch begründet werden, daß die Anwesenheit der Person eine Gefahr für die Beseitigung der - eigentlichen - Gefahr darstellt. So kann lediglich die bloße Anwesenheit einer Person eine Gefahr darstellen[9]. Dafür spricht die Formulierung des Satzes 2, wonach Behinderungen der Feuerwehr und der Hilfs- und Rettungsdienste beseitigt werden sollen.

d) Die Maßnahme hat in zeitlicher Hinsicht nur vorübergehenden Charakter[10]. Die zeitliche Dauer darf nicht größer sein, als es zur Bekämpfung der Gefahr erforderlich ist. Eine absolute Grenze läßt sich dabei nicht ziehen, sie wird im Wesentlichen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 3 Abs. 4 SächsPolG) gebildet[11]. Wann ein Platzverweis noch als vorübergehend anzusehen ist, hängt von den jeweiligen Umständen des konkreten Einzelfalles ab. Liegt der Grund für einen Platzverweis z. B. in der zu erwartenden Störung einer Veranstaltung, so kann der Platzverweis für die voraussichtliche Dauer der Veranstaltung ausgesprochen werden, auch wenn diese sich über mehrere Tage erstreckt[12]. Eine längere Dauer ist nur von dem Aufenthaltsverbot nach § 21 Abs. 2 SächsPolG gedeckt[13], für das jedoch höhere Tatbestandsvoraussetzungen bestehen, so daß ein Platzverweis schwerlich in ein Aufenthaltsverbot umgedeutet werden kann[14]

e) Die Maßnahme ist auch in räumlicher Hinsicht auf klar umgrenzte Örtlichkeiten begrenzt. Die Reichweite darf nicht größer sein, als es zur Bekämpfung der Gefahr erforderlich ist[15]. Grundsätzlich handelt es sich dabei um eine überschaubare Örtlichkeit (Straßenkreuzung, Gebäude, Einkaufspassage oder ähnliches)[16]. Maßgeblich muß die Überlegung sein, daß mit dem Platzverweis die Gefährdung und auch eine Wiederholung der Gefahr durch erneutes schnelles Hinzutreten der zu verweisenden Person effektiv ausgeschlossen werden kann. In diesem Sinne erfolgt eine nicht engherzige Auslegung des Ortes durch die Rechtsprechung[17]. Auch ein Fußballstadion kann Ort im Sinne des § 21 Abs. 1 SächsPolG sein[18]. Soll eine Person von einem größeren Bereich verwiesen werden, der nicht mehr unter den Begriff des Ortes subsumiert werden kann, kommt ein Aufenthaltsverbot nach § 21 Abs. 2 SächsPolG in Betracht, für das jedoch höhere Tatbestandsvoraussetzungen bestehen. Die Polizei kann der zu verweisenden Person die Richtung vorschreiben, in die er sich zu entfernen hat und auch die Entfernung, die er von dem fraglichen Ort einhalten muß, jedoch nicht einen Ort, zu dem er sich zu begeben hat[19].

f) Ist der Platzverweis wegen der Weigerung der Person, den Ort zu verlassen oder wegen der Rückkehr der verwiesenen Person ineffektiv, kann von der Durchsetzung des Platzverweises nach § 22 Abs. 1 Nr. 4 SächsPolG Gebrauch gemacht werden.

3. Aufenthaltsverbot

a) Ein Aufenthaltsverbot untersagt dem Betroffenen, für einen begrenzten Zeitraum seinen Aufenthalt in dem bezeichneten räumlichen Gebiet zu haben. Mit der verfassungsmäßigen[20] Neuregelung durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen[21] erhoffte sich der Gesetzgeber, die Drogenszene effektiver bekämpfen[22] und bei Großveranstaltungen mit gewaltbereiten Teilnehmern zweckmäßiger agieren zu können[23].

b) Für die erforderliche Annahme reicht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Begehung oder eines Beitrags zur Begehung von Straftaten aus[24]. Bloß Vermutungen genügen nicht. Des Weiteren ist zu beachten, daß schon eine entfernte Möglichkeit eines Schadens das polizeiliche Handeln erforderlich machen kann, wenn es um den Schutz besonders hochwertiger Sicherheitsgüter wie Leben und Gesundheit geht. Je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, um so geringer sind die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit seines Eintritts gestellt werden[25]. Dabei können auch Gesichtspunkte der Generalprävention das öffentliche Interesse an einem Aufenthaltsverbot begründen[26].

c) Räumlich kann sich das Aufenthaltsverbot auf die gesamte Gemeinde oder einen Teil davon erstrecken. In bestimmten Fällen kann es ermessengerecht sein, das Aufenthaltsverbot auf ein gesamtes Stadtgebiet erstrecken, wenn bei einer Begrenzung auf bestimmte Bereiche zu befürchten wäre, daß sich die Szene verlagert[27]. Zeitlich gibt der Gesetzgeber die Höchstdauer von drei Monaten vor. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit, insbesondere bei der Bestimmung der räumlichen und zeitlichen Dauer des Aufenthaltsverbotes ist dem Gewicht des durch die Straftat bedrohten Rechtsgutes Rechnung zu tragen[28]. § 21 Abs. 2 Satz 3 SächsPolG fordert, daß die Wahrnehmung berechtigter Interessen durch den Betroffenen unberührt bleiben. Zu den berechtigten Interessen gehört dabei z. B. das Aufsuchen eines Arztes, Rechtsanwaltes oder Sozialarbeiters sowie die Teilnahme an Wahlen oder Demonstrationen[29]. Ob auch die Deckung des Lebensbedarfes zu den berechtigten Interessen i.S.d. § 21 Abs. 2 Satz 3 SächsPolG gehört, hängt davon ab, ob sie am Wohnort des Betroffenen möglich ist.

 

4. Wohnungsverweisung

Mit der Regelung der Wohnungsverweisung kommt der Staat seinem Schutzauftrag aus Art 2 Abs. 2 GG nach[30]. Diese Befugnis soll den zivilrechtlichen Rechtsschutz nach dem Gewaltschutzgesetz[31] flankieren[32]. Ob diese Regelung angesichts der Möglichkeit eines Platzverweises und eine Aufenthaltsverbotes notwendig war, ist umstritten[33]. Bei der Entscheidung über eine Wohnungsverweisung hat die Behörde eine gerichtlich voll überprüfbare Prognoseentscheidung zu treffen[34]. Danach muß den bedeutenden Rechtsgütern Leib, Leben oder Freiheit mindestens eine gegenwärtige Gefahr drohen. Gegenwärtig ist eine Gefahr, wenn ein Schadenseintritt besonders nah ist. Dazu kommt auf der Rechtsfolgenseite die Ermessensentscheidung über das Ob und Wie der Maßnahme. Adressat der Wohnungsverweisung ist der Gefahrverursacher[35]. Die Frist des § 21 Abs. 3 SächsPolG ist eine Höchstfrist. In Fällen häuslicher Gewalt kann auch der Ehegatte des Gewalttäters eine an diesen gerichtete polizeiliche Verfügung über eine Wohnungsverweisung anfechten[36]. Dabei ist das Selbstbestimmungsrecht des Opfers mit dem Schutzauftrag des Staates abzuwägen[37].

 

5. Durchsetzung

Die zwangsweise Durchsetzung der Standardmaßnahmen des § 21 SächsPolG erfolgt in der Regel mittels des sogenannten Verbringungsgewahrsams[38] nach § 22 Abs. 1 Nr. 4 SächsPolG.

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[1] SächsGVBl. 2004, 147; zu vorherigen Änderung in SächsGVBl. 1999, 330 Robrecht, SächsVBl. 1999, 232
[2] vgl. zur Regelung des Aufenthaltsverbotes Robrecht, SächsVBl 1999, 232; Hecker, NVwZ 1999, 261; VGH BW, VBlBW 1997, 465; OVG Bremen, NVwZ 1999, 314; BayVGH, DÖV 1999, 520
[3] vgl. Petersen-Thrö, SächsVBl 2004, 173; Wuttke, JuS 2005, 779 auch zur Angrenzung der Maßnahmen
[4] OVG Bremen, NVwZ 1999, 314, 315; VGH BW, NJW 2005, 88; dazu Wuttke, JuS 2005, 779; das PolG BW kennt keine eigenständige Befugnis für den Platzverweis, der dort auf Grundlage der Generalermächtigung erlassen wird, vgl. Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdnr. 201a; gegen einen Rückgriff auf die Generalermächtigung: Rachor in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2. Auflage, Kapitel F, Rdnr. 461a
[5] eingehend Robrecht/Petersen-Thrö, SächsVBl. 2006, 29ff; Petersen-Thrö, SächsVBl. 2006, 193ff; Maaß, NVwZ 1985, 152f
[6] OVG Bremen, NVwZ 1999, 314, 315; Robrecht, SächsVBl. 1999, 232
[7] VG Stuttgart, VBlBW 2002, 43, 44
[8] Berner/Köhler, PAG Bayern, Art 16 Rdnr. 2; Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 218: Waechter, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 702; a.A. Petersen-Thrö, SächsVBl. 2004, 173, 179 und Robrecht/Petersen-Thrö, SächsVBl. 2006, 29ff
[9] Robrecht/Petersen-Thrö, SächsVBl. 2006, 29ff, die die Störerproblematik ausführlich diskutieren
[10] VGH BW, NVwZ 2003, 115; Naucke-Lömker, NJW 2002, 3525, mit einer Übersicht zu den Ermächtigungsgrundlage zur Umsetzung des sog. Gewaltschutzgesetz (GewSchG) vom 1. Januar 2002, BGBl. I 2001, 3513
[11] Robrecht, SächsVBl. 1999, 232 und Robrecht/Petersen-Thrö, SächsVBl. 2006, 29ff
[12] BayOLG, NVwZ 2000, 467: drei Tage; Robrecht/Petersen-Thrö, SächsVBl. 2006, 29ff: zwei Tage; VG Potsdam, Beschluß vom 7. September 2004 , Az: 3 L 865/04: 16 Tage rechtswidrig
[13] VG Frankfurt, NVwZ-RR 2002, 575
[14] VG Potsdam, Beschluß vom 7. September 2004 , Az: 3 L 865/04
[15] Robrecht/Petersen-Thrö, SächsVBl. 2006, 29ff
[16] Robrecht/Petersen-Thrö, SächsVBl. 2006, 29ff
[17] BayOLG, NVwZ 2000, 467: Insel Mainau; VGH Bayern, BayVBl. 2001, 529
[18] a.A. Robrecht/Petersen-Thrö, SächsVBl. 2006, 29ff
[19] Robrecht/Petersen-Thrö, SächsVBl. 2006, 29ff
[20] VG Leipzig, NVwZ 2001, 1317
[21] SächsGVBl. 1999, S. 330; zu den verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. Robrecht, SächsVBl. 1999, 232ff
[22] vgl. auch Trute, Die Verwaltung 1999, 73, 88
[23] Robrecht, SächsVBl. 1999, 233
[24] VG Leipzig, NVwZ 2001, 1317; VG Göttingen, NVwZ-RR 1999, 169; Robrecht, SächsVBl. 1999, 233f m.w.N.
[25] VG Leipzig, NVwZ 2001, 1317; Latzel, Aufenthaltsverbot - Eine neue Standardmaßnahme neben der Platzverweisung, Die Polizei 1995, 131f
[26] VG Leipzig, NVwZ 2001, 1317; VGH München, NVwZ 2000, 454, 455
[27] VG Leipzig, NVwZ 2001, 1317; OVG Lüneburg, NVwZ 2000, 454
[28] Robrecht, SächsVBl. 1999, 232, 235
[29] VG Leipzig, NVwZ 2001, 1317
[30] vgl. Kay, NVwZ 2003, 521
[31] siehe BGBl I 2001, 3513
[32] vgl. Dahlke-Piel, SächsVBl. 2005, 61, 63
[33] vgl. Petersen-Thrö, SächsVBl. 2004, 173, 175;
[34] VG Aachen, NJW 2004, 1888; Petersen-Thrö, SächsVBl. 2004, 173, 178
[35] vgl. Begründung des Gesetzentwurfes LT-Drucksache 3/9231; Petersen-Thrö, SächsVBl. 2004, 173, 179 sieht unter Anwendung von § 7 SächsPolG auch das Opfer als potentiellen Adressaten einer Wohnungsverweisung an. Dies ist auf Grund des Wortlautes von § 21 Abs. 3 SächsPolG abzulehnen.
[36] VG Aachen, NJW 2004, 1888
[37] Petersen-Thrö, SächsVBl. 2004, 173, 180
[38] Kappeler, DÖV 2000, 227, 229